Nicht veröffentlichtes Manuskript für eine interne Publikation der GEW, 1998

Virtuelle Hochschule - Quo vadis?

Claudia Bremer

Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Goethe-Universität Frankfurt/Main

Was ist eine virtuelle Universität ? Welche Formen existieren? Potential und Probleme der virtuellen Hochschule

Während Hochschulstrukturreform und Finanzknappheit die hochschulpolitische Diskussion entfachen, entwickelt sich - noch kaum beachtet in Hochschulen und Verwaltung, aber um so heftiger diskutiert von Medienpolitikern, einigen wenigen HochschullehrerInnen und ein wenig auch von der breiteren Öffentlichkeit - eine ganz andere Diskussion: die Frage nach der Virtualisierung der Hochschulen aufgrund der Innovationen in den Bereichen der Informations- und Kommunikationstechnologien.

Die so kritisch diskutierten Entwicklungen umfassen die Medienunterstützung herkömmlicher Hochschulveranstaltungen, die Ergänzung des universitären Lehrangebots durch Online-Angebote bis hin zur Auflösung der Hochschulinstitution im herkömmlichen Sinne. Wie in so vielen Lebensbereichen, in denen das Internet und die neuen Medien Einzug halten, stoßen sie dabei Diskussionen an, welche die Existenz herkömmlicher Strukturen gänzlich in Frage stellen. Die Auseinandersetzung mit den technologischen Innovationen ist in ähnlicher Form wiederzufinden bei Überlegungen über die zukünftige Ausgestaltung von Arbeitsformen und Arbeitsbeziehungen (Telearbeit), in der Politik und der demokratischer Willensbildung (Demokratie und Internet), in der Diskussion um kommunale Strukturen (Digitale Stadt und Bürgernetze) und in vielen weiteren Beispielen. Überall dort, wo das Internet auftaucht, löst es ein Überdenken und Infragestellen herkömmlicher Strukturen und Abläufe aus. Die Chance, die dieser Prozeß in sich birgt, ist, daß bestehende Strukturen vor ihrer Abbildung in der Virtualität überdacht und verbessert werden. Und wenn die mögliche Substitution bestehender Abläufe durch ihr virtuelles Abbild nur eine Bedrohung darstellt, die dazu führt bestehende (reelle) Prozesse zu verbessern, so ist schon vieles erreicht!

Was ist eine virtuelle Universität ?

Um sich an den Begriff der virtuellen Hochschule anzunähern, ist es hilfreich, den Anfang über die Klärung des Begriffes Virtualität zu machen.

Virtuell bedeutet (laut Duden) "potentiell oder nach Möglichkeit vorhanden" und Virtualität kann verstanden werden als das Abbild einer reellen Existenz.

Im aktuellen Sprachgebrauch wird virtuell häufig für das elektronische Abbild einer in der Realität existenten Entität (Sache, z.B. Raum, Organisation, Institution, usw.) verwendet. Virtuelle Hochschule bedeutet demnach die elektronische Abbildung der Komponenten oder Funktionen einer Hochschule. Dazu ist es nützlich, die institutionelle Funktionen einer Hochschule aufzuzeigen und ihre jeweilige Abbildung in der Virtualität zu untersuchen. Gleichzeitig ist damit ein Kriterienkatalog gewonnen für die Beurteilung des Virtualisierungsgrades einer Hochschule.

Hochschule: ihre Funktionen, Akteure und ihr Umfeld

Welche Funktionalitäten einer Hochschule sind virtuell abbildbar und welche mit der Hochschule in einer Beziehung stehenden Personengruppen werden davon berührt?


Abbildung 1: Funktionen und Akteure rund um die Hochschule

Gleichzeitig mit der Virtualisierung ändert sich auch das Verhältnis der Hochschule zu ihrer Umwelt. Wie diese veränderten Beziehungen im einzelnen aussehen können, wird in den folgenden Abschnitten beleuchtet. An dieser Stelle sei noch darauf hingewiesen, daß nur die Personengruppen aufgeführt wurden, deren Existenz sich durch die Hochschule bedingt. Das bedeutet beispielsweise, daß eine Person nur durch ihre Beziehung zu einer Hochschule zu einem Studierenden, zu einem Hochschullehrer oder zu einer Verwaltungsangestellten wird. In der Beziehung zur Umwelt ändert sich diese Bedingtheit etwas: Unternehmen und Organisationen existieren auch ohne Hochschulen. Hier sind sie aufgeführt in ihrer Rolle als Arbeitsmarktkomponente, also als "Abnehmer" von Hochschulabsolventen. Gleichzeitig sind sie auch Einflußfaktoren für die Ausbildungsziele und -inhalte, ebenso wie dies auch Ministerien sind, die neben der Mittel- und anderer Ressourcenzuteilungen auch Prüfungs- und Studienordnungen sowie Stellenbesetzungen maßgeblich beeinflussen. "Öffentlichkeit" sind neben der den Medien und deren meinungsbildnerisches Potential vor allem die BürgerInnen, die durch ihre Informiertheit über hochschulpolitische Themen Stellung zu Veränderungen in der Hochschule beziehen. Die auch als Wähler die politischen Entscheidungen beeinflussen, als Steuerzahler finanzielle Ressourcen bereitstellen und als Meinungsbilder in ihrer Rolle als Eltern, Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Studienentscheidungen der zukünftigen Studierenden beeinflussen. Schulen haben neben ihrer Rolle als "Lieferanten" von Studierenden ebenfalls einen Einfluß auf die Studienentscheidung, denn neben der schulischen Ausbildung geben sie auch Meinungen, Eindrücke und Empfehlungen über das Studium an ihre Schüler mit.

Wie verändern sich diese Funktionalitäten und welche Formen virtueller Hochschulen existieren?

Innerhalb der Hochschulen können wir die Funktionen Verwaltung, Lehre/Lehrangebot, Forschung, Zertifizierung und Wissensbank (Bibliotheken, Internet, u.a.) entnehmen. In der bisherigen Entwicklung des Internets hielt es in seiner Entstehungsphase Einzug in den Bereich der Forschung und vor allem in der Forschungskooperation. In den frühen Phasen des Internet entstand es durch Forschung und diente den Hochschulen dem Datentransfer wissenschaftlicher Ergebnisse.

Entwicklungsstufen des Interneteinsatz in der Hochschule


Abbildung 2: Entwicklungsstufen des Interneteinsatz in der Hochschule

Der heutige Einsatz des Internet im Forschungsbereich hat sich aufgrund seiner Weiterentwicklungen, der neuen technischen Möglichkeiten und nicht zuletzt durch seine einfache Bedienbarkeit intensiviert. Neben der Veröffentlichungen und dem Austausch von Forschungsergebnissen, der Unterstützung von Kooperationen durch Email und andere Dienste dient es nicht zuletzt als eine Art "Gelbe Seiten" und als Veranstaltungskalender für Institute, Veröffentlichungen und Tagungen. Allerdings sei darauf hingewiesen, daß die Nutzung des Internet für Forschungszwecke je nach Fachbereich, Hochschule, Fachkultur und individuellen Wissenschaftler ausgesprochen unterschiedlich ist. So bedingt allein die Unterschiedlichkeit der zu übertragenden Daten zwischen den naturwissenschaftlichen Fächer und den sogenannten Buchwissenschaften unterschiedliche Nutzungsmöglichkeiten. Auf der einen Seite werden Simulationen, Zahlenmengen, Formeln und Bildübertragungen benötigt, während die Geistes- und Sozialwissenschaften weitaus häufiger mit Texten auskommen. Und auch die Kunstwissenschaften oder die Medizin bedürfen wiederum anderer Übertragungsinhalte.

Diese durch das Fach bedingte Unterschiede finden sich in der Anwendung des Internet auf die Lehre und als Basis für Wissensbänke wieder. Während hier bedingt durch die verfügbare Technik Studiengänge wie Informatik und Wirtschaftsinformatik eine Vorreiterrolle übernehmen, beschäftigen erziehungswissenschaftliche Studiengänge mit Medienpädagogik oder Mediendidaktik und nähern sich von dieser Seite dem Interneteinsatz in der Hochschullehre. Primäre Einflußfaktoren sind natürlich hier die Ausstattung der jeweiligen Hochschule oder des Fachbereichs, die jeweilige Bereitschaft und das Interesse der HochschullehrerInnen - nicht zuletzt bedingt durch genau deren Forschungsschwerpunkte - und die Signale, die Bund, Länder und die Hochschulen selbst durch die Bereitstellung von Fördermitteln für mediengebundene Hochschullehre setzen. Heutige Entwicklungen der internetgestützten Lehre reichen von der einfachen begleitenden Unterstützung von Veranstaltungen durch Internetseiten wie Folien, Übersichten, Ablaufpläne über die Internetunterstützung der Veranstaltungen selbst durch Einsatz von Email, Chats, Videokonferenzen in der Veranstaltung bis hin zur Substitution der herkömmlichen Lehrveranstaltung durch ein Multimedia- oder Internetangebot oder der grundlegenden Veränderung der Form der Lehrveranstaltung aufgrund des Medieneinsatzes. (Siehe dazu ausführlicher Abschnitt Internet in der Hochschullehre: was ist heute möglich?)

Die hier als Wissensbänke bezeichneten Informationsbestände, welche Hochschulen in Bibliotheken, Veröffentlichungen, Materialien wie Skripten und auch auf Internetseiten den Lehrenden, Studierenden und auch der breiteren interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung stellen, werden durch das CD Rom- und Online-Angebot von Bibliotheken und Internetseiten der Universitäten, Fachbereiche und Lehrstühle erweitert. Es wäre zu vermuten, daß sie durch das Internet auch schneller anwachsen, da die Informationsbereitstellung über das Internet geringeren redaktionellen und verlagstechnischen Zwängen unterliegt und kostengünstiger sowie breiter verfügbar gemacht werden kann. Wie sich das universitäre Informationsangebot aufgrund des Internets entwickelt hat, wird im Rahmen dieses Papiers nicht geklärt werden, da aktuelle Informationen über Publikationsverhalten nicht erhoben wurden oder uns vorliegen. An dieser Stelle läßt sich nur feststellen, daß es durch das Internet aufgrund der oben genannten Ursachen einerseits zu einem größeren öffentlichen Informationsangebot seitens der Hochschule und anderer Institutionen kam, die Aktualität und Qualität der Veröffentlichungen jedoch geprüft werden sollte und dem Informationsnachfrager ein höheres Maß an Fähigkeit zur Selektion und Beurteilung der Quellen abverlangt wird.

Ein unbeliebtes Stiefkind der universitären Funktionen ist - wie vielleicht auch bei ihrem realen Counterpart - die Frage der Prüfung und Zertifizierung. Hier wagen sich bisher nur wenige Universitäten -.darunter die Fernuniversität Hagen - an internetgestützte Prüfungen heran. Eine Zertifizierung, die nur aufgrund von internetbasierten Prüfungssituationen stattfindet, ist bis auf eine Ausnahme der Autorin bislang unbekannt. Meist werden hier zur Zeit Kombinationslösungen herangezogen, wie sie schon von den Fernuniversitäten eingesetzt werden: die tatsächliche Prüfung findet unter Anwesenheit von Beobachtern statt - wenn dies auch nicht notwendigerweise in den Räumen einer Hochschule oder der prüfenden Hochschule sein muß. Hier fehlen im aktuellen Stadium der technischen Entwicklung geeignete Instrumente zur Identifizierung der Prüfungskandidaten und Überwachung der Prüfung (Beispiele sind der digitale Daumendruck oder andere digitale Erkennungen). Um Prüfungen über das Internet abzuwickeln sind eventuell neue Prüfungsformen zu finden, die der Dezentralisierung zwischen Prüfer und Prüfling oder Beobachter entgegenkommen.

Die Frage der Zertifizierung stellt sich allerdings auch auf einer ganz anderen Ebene: bei einer zukünftigen Zunahme von Bildungsangeboten im Internet stellt sich die Frage nach einer hochschulübergreifenden Anerkennung der Leistungen, die an anderen Hochschulen oder Bildungseinrichtungen erbracht wurden. Und dies können zunehmend Kurse, Seminare, Zertifikate sein, die im Rahmen eines Online-Angebotes erbracht wurden. Nur mit einer zunehmenden Anerkennung eines Credit Point Systems ist die Anerkennung dieser Leistungen gewährleistet. Trotzdem wird sich die Frage nach der Qualität der online angebotenen Lehrveranstaltungen stellen, um sie innerhalb eines Credit Point Systems entsprechend bewerten zu können. Hier werden sich Kriterien für die Qualitätssicherung von Online-Lehre entwickeln, die langfristig einem Standard zustreben werden, der es erlaubt, Lehrangebote im Internet zu entwickeln und zu bewerten. Hochschulen können Rahmenbedingungen schaffen, indem sie einen Teil der zu erbringenden Prüfungsnachweise aus Online-Angeboten anerkennen. Nur im Rahmen solcher Abkommen werden die Potentiale online gestützter Lehre wie z.B. internationale Studienangebote, Studienprogramme für Berufstätige und zur Weiterbildung usw. eine Chance haben.

Internet in der Hochschullehre: was ist heute möglich?

In Abbildung 3 sind fortschreitende Stufen der Intensität des Interneteinsatzes in der Hochschullehre dargestellt. Diese Stufen korrelieren nicht notwendigerweise mit einer zeitlichen Folge der realen Entwicklungsstufen, sind aber an einer einzelnen Hochschule oder an einem einzelnen Fachbereich durchaus als solche Stufen der Annäherung an die virtuelle Lehre vorstellbar. In der Praxis haben sich jedoch inzwischen Institutionen gegründet, die sich direkt dem in der Abbildung als vorletzte Stufe dargestellten Stadium zugewandt haben und nur als sogenannte "virtuelle Hochschule" existieren, d.h. nur ein online verfügbares Lehrangebot bereitstellen.


Abbildung 3: Stufen des Interneteinsatzes in der Hochschullehre

Im folgenden werden die einzelnen Stufen kurz beschrieben und könnten auch als Leitfaden für die Umsetzung des Interneteinsatzes an einem Fachbereich dienen:

Begleitende Internetunterstützung

Parallel zu einer herkömmlichen Lehrveranstaltung werden Materialien wie Veranstaltungsübersicht, verwendete Folien, aktuelle Ankündigungen und Mitteilungen, Literaturlisten usw. im Internet bereitgestellt. Die TeilnehmerInnen der Veranstaltung haben die Möglichkeit diese Materialien online abzurufen oder auch per Datentransfer auf den eigenen Rechner zu laden und dort zu speichern, auszudrucken oder zu bearbeiten.

Vorteile der Online-Bereitstellung ist die gleichzeitige Verfügbarkeit für viele im Gegensatz zu Seminarordnern oder Handapparaten. Durch die Bereitstellung des verwendeten Materials in Form von Dateien, können Studierenden diese Unterlagen selbst editieren und als individuelles Lernmaterial aufbereiten. Die Materialien sind außerdem leichter zu aktualisieren als einmal verteilte Unterlagen und auch für Studierende, die an einer einzelnen Sitzung nicht teilnehmen konnten, zugänglich.

Die Nachteile liegen im notwendigen Online-Zugang: nur durch die Sicherstellung ausreichenden Zugangs können die Materialien von allen eingesehen werden. Neben dem technischen Zugang muß auch eine gewisse Medienkompetenz vorausgesetzt werden, d.h. die Studierenden müssen einen Internetbrowser und Software zum Datentransfer bedienen können. Außer über einen öffentlichen Zugang in den universitären PC Pools können die Unterlagen auch privat von Zuhause abgerufen werden. Dazu müssen von seiten der Universität Einwahlmöglichkeiten ins Internet und ausreichende Beschreibungen der Einwahlmodalitäten bereitgestellt werden.

Direkte Internetunterstützung einer Lehrveranstaltung

Bedeutet, daß das Internet oder andere Medien wie CDROMs in der Lehrveranstaltung selbst eingesetzt werden. Das kann einmalig, mehrmalig oder dauerhaft zu den Sitzungen der Veranstaltung geschehen. In dieser Form der Internetunterstützung findet die Lehrveranstaltung zwar noch zentral betreut von einem Veranstaltenden statt, aber das Internet wird während der Sitzung eingesetzt. Diese Form bietet sich z.B. im Rahmen von Tutorien, Übungen oder Kolloquien an, in der Vorlesungsstoff durch Übungen, Projektarbeiten oder Recherche nochmals vertieft oder aufbereitet wird. Das Internet oder CDROMs kommen hier als Übungsunterlage, Rechercheinstrument oder Materialsammlung (Datenbank oder Suchmaschinen) zum Einsatz.

Vorteil dieser Veranstaltungsform ist, daß Anleitungen, Texte, Übungsaufgaben online oder per CDROM bereitgestellt werden können, statt in Papierform. Das Internet (WWW) bietet über die Funktionalität von Online-Formularen die Möglichkeit, Dateneingaben von Studierenden (z.B. Lösungen zu Aufgaben) als Datenbankeintrag oder als Email weiterzuverarbeiten und somit elektronisch verfügbar zu machen. Damit können die studentischen Ergebnisse einer Übung allen Beteiligten bereitgestellt werden und sogar schnell kommentiert oder mit Punkten versehen werden. Über Datenbankanbindungen oder CDROMs bietet sich auch die Möglichkeit, Multiple Choice Aufgaben als Selbstlernprogramme anzubieten und in Übungen einzusetzen. Diese Anwendungen ermöglichen eine intensivere Betreuung von Studierenden durch die Bereitstellung von Übungen und Materialien als ohne die elektronische Unterstützung durch Datentransfer, Datenbanken und Online-Materialien. Nachteile dieses wie auch des vorherigen Interneteinsatzes ist die Aufbereitung der Online-Übungen und -Materialien für die neuen Medien. Dieser Umstand wird gerade im Anfangsstadium, in dem diese Umsetzung mangels geeigneter Programme noch aufwendiger ist, auch eine Hemmschwelle für den Online-Einsatz darstellen. Neben der aktiven Bereitstellung von Materialien auf dem Netz kann auch die Vielfalt an Informationen im Internet in Veranstaltungen herangezogen werden. Gerade zur studentischen Projektarbeit und zur Förderung der Kreativität bei der Ideenfindung stellt die Nutzung von Suchmaschinen ein geeignetes Instrument dar, um den fachspezifischen Horizont zu erweitern, die Auswahl qualitativer Quellen zu fördern und andere Institutionen, Sprachen und Ländern kennenzulernen. Nicht zuletzt stellt auch das Erlernen des Umgangs mit den neuen Medien selbst hier eine Schlüsselqualifikation zukünftiger Erwerbstätiger dar.

Substitution der Lehrveranstaltung durch das Internetangebot

Mit dieser Form des Interneteinsatzes nähert sich die Hochschullehre ihrer virtuelle Form am ehesten an: eine herkömmliche Lehrveranstaltung wird durch ein online Angebot ersetzt. Hier bestehen verschiedene Modelle der Online-Lehre:


Abbildung 4: Raum - Zeit Dimensionen internetgestützter Lehre

  • Das Lehrangebot kann noch im Rahmen einer Lehrveranstaltung stattfinden, d.h. es besteht eine abgrenzbare Gruppe von Teilnehmenden, eine oder mehrere Lehrpersonen sind verantwortlich für die Gestaltung der Veranstaltung und auch online erreichbar und die Sitzungen der Veranstaltung unterliegen einer für alle gemeinsamen zeitlichen Taktung. Die Substitution findet hier auf der Ebene des Raums statt, da es vor allem zu einer räumlichen Dezentralisierung von Teilnehmenden und Lehrpersonen kommt. Die Potentiale dieser Veranstaltungsform liegen in der Einbindung internationaler Kontakte, der Veranstaltungsdurchführung über Orte und Universitäten hinweg und dem räumlichen Transport des Lehrstoffes hin zu den Teilnehmenden. Auch die Vernetzung der Teilnehmenden selbst durch das Internet stellt eine wichtige Komponente dar, die den Zusammenhalt der Veranstaltung fördern kann.
  • Diese Veranstaltungsform kann auch zusätzlich mit einer zeitlichen Flexibilisierung durchgeführt werden, wenn keine zeitlich getakteten Sitzungen allerdings ein insgesamt getakteter Veranstaltungsablauf durchgeführt wird. Das bedeutet z.B. daß es wöchentliche Themen, Aufgaben usw. gibt, jedoch die Bearbeitung den zeitlichen individuellen Präferenzen der Teilnehmenden überlassen wird. Dieses Konzept empfiehlt sich bei der Teilnahme von Berufstätigen oder der Überbrückung von Zeitzonen.
  • Völlig losgelöst von Zeit und Raum sind online Lehrangebote, die im Netz verfügbar sind, aber keinerlei zeitlichen Taktung unterliegen. Dies kommt den Selbstlernprogrammen auf CDROMs sehr nahe. Der Unterschied eines internetgestützten Angebots kann in der Interaktivität mit den Betreuern der Lehrveranstaltung liegen.

Zu beachten ist bei all diesen Angeboten, daß die Durchführung von Prüfungen, die Zertifizierung und eine Einbettung in Studien- und Prüfungsordungen geeignet zu gestalten ist.

Neue Formen von Lehrveranstaltung

Können internationale Angebote sein, bei denen sich eine oder mehrere Universitäten zu einem länderübergreifenden Lehrangebot entschließen. Die Potentiale der internetgestützten Veranstaltungsform liegen hierbei in der Anwendung der Fremdsprachen, dem interkulturellen Austausch, der Möglichkeit, internationale Experten zuzuschalten und dezentrale Gruppen zu betreuen. Gerade in der Kommunikation zwischen den Teilnehmer liegen interessante Anwendungsgebiete des Internet wie z.B. in internationalen Rollenspielen, Vorbereitung von Studentenaustauschprogrammen, internationalen, kooperativen Projektarbeiten, usw.

Chancen und Probleme:

Neben den an verschiedenen Stellen schon genannten Chancen und Problemen der virtuellen Hochschule sei abschließend noch einmal ein zusammenfassender Blick erlaubt:

Der Begriff virtuelle Hochschule rechtfertigt sich nur, wenn alle Funktionen einer Hochschule im Netz abgebildet werden, so auch Verwaltung, Zertifizierung, usw.. Und da mangelt es bisher bis auf wenige Ausnahmen an praktischen Umsetzungen. So ist das , was wir heute in der Hochschullandschaft finden vor allem eine mediengestützte Lehre, in der das Internet begleitend, unterstützend oder während Lehrveranstaltungen zum Einsatz kommt. Großes Hindernis eines freien Marktes an online Lehrangeboten ist zur Zeit neben Technikeinsatz und mangelnder Didaktik vor allem die Frage nach der Zertifizierung. So lange Hochschulen die Titel vergeben und bestimmen können, welche Leistungen sie dazu anerkennen, werden diese Angebote sich nicht durchsetzen können. Und dies wird auch langfristig nur dann geschehen, wenn es zu einer Bewertung der Online-Angebote kommt oder Hochschulen gegenseitige Abkommen zu deren Anerkennung schließen. Andrerseits werden Online-Angebote auf dem freien Bildungsmarktes bei der Weiterbildung Berufstätiger und Arbeitsloser Anwendung finden. Wenn der Arbeitsmarkt die nötigen Signale setzt zur Belohnung lebenslangen (und meist selbst finanzierten) Lernens, werden kommerzielle und universitäre Online-Angebote einen Absatz finden. Und hier stellt sich die Frage, wie weit Hochschulen hier eine Chance oder gar eine Pflicht haben, ihren Abnehmerkreis von Bildungsangeboten zu erweitern und neben Vollzeitstudierenden zunehmend Erwerbstätige, Arbeitslose und Personen im Rentenalter zu bedienen. Vor allem sollte die Virtualisierung der Hochschul(lehre) genutzt werden, um bestehende Mängel auszubügeln, neue didaktische Konzepte zu entwickeln und auch weiterhin bestehende Veranstaltungsformen zu verbessern.

Resümee

Und hier liegt die Chance der neuen Medien und besonders des Internets:

  • Bestehendes durch Konkurrenz und sogar Gefährdung in seiner Existenz in Frage stellen
  • dadurch Verbesserungspotentiale eröffnen, Diskussionen anstoßen
  • Reformierend, ergänzend oder substituierend Bestehendes verbessern

Und vielleicht ist multimediale Universität oder multimediale Lehre ein bescheideneres Wort um den Anfang zu beschreiben, statt mit großen Worten Erwartungen zu wecken, die vorerst enttäuscht werden. Und damit könnte Vertrauen in eine Entwicklung geschmälert werden, die in jedem Fall in irgendeiner oder besser in vielen Formen auf uns zukommen wird: die virtuelle Universität.